Humanitäre Hilfe für alle
Was macht die humanitäre Hilfe der CBM besonders? Das erläutert Tushar Wali, Leiter Katastrophenvorsorge der CBM-Föderation und seit über 20 Jahren in der Entwicklungszusammenarbeit tätig.
Menschen mit Behinderungen sind bei Katastrophen am stärksten gefährdet. Wieso?
Jede siebte Person weltweit lebt mit einer Behinderung. Bei Katastrophen sind teils lebenswichtige Dienste und die Wege dahin meistens blockiert. Die Behinderung macht es unmöglich, diese Barrieren zu überwinden. Das Risiko, Schaden zu erleiden, ist grösser. So nützt einem gehörlosen Menschen der Alarm per Lautsprecher nichts, und er kann sich vermutlich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen. Viele Menschen mit Behinderungen leben zudem in grosser Armut. Für sie ist es schwieriger, sich nach einem Wirbelsturm oder einer Flut zu erholen.
Trotzdem ist die humanitäre Hilfe für diese Menschen weltweit nach wie vor weitgehend unzugänglich. Sie sind oft von Planung, Entscheidungen und Umsetzung ausgeschlossen. Neben unzugänglichen Alarmierungen, sind auch Schutzbauten, Evakuierungswege und -fahrzeuge nicht barrierefrei. Hinzu kommen fehlende Mittel zur Kommunikation wie die Gebärdensprache, fehlende Assistenzpersonen, Vorurteile, oder dass humanitäre Akteure Inklusion weder in der Strategie noch im Budget berücksichtigen.
Wie unterscheidet sich die humanitäre Hilfe der CBM?
Wir stellen die Rechte und die Führungsrolle von Menschen mit Behinderungen ins Zentrum. Denn sie haben dieselben Rechte und ebenfalls ihre jeweils individuellen Begabungen. Mit ihren Selbstvertretungsorganisationen arbeiten wir eng zusammen. Die humanitäre Hilfe der CBM wird dadurch inklusiv und erreicht die am stärksten gefährdeten Menschen. Auf würdige Weise erhalten sie neben der Soforthilfe auch, was sie zusätzlich dringend benötigen, wie medizinisch-therapeutische Betreuung, Hilfs- und Transportmittel.
Unsere Erkenntnisse entspringen aus lokaler Praxis und jahrelang aufgebautem Vertrauen. Wir teilen sie laufend mit anderen Organisationen, damit auch deren humanitäre Hilfe inklusiv wird. An der Seite der Organisationen von Menschen mit Behinderungen verändern wir zudem Einstellungen: Wer eine Behinderung hat, ist nicht nur Hilfsempfänger, sondern trägt, sofern gleichwertig einbezogen, teils sogar leitend zum Wohl aller bei.
Die CBM bezieht Selbsthilfegruppen mit ein. Weshalb?
Menschen mit Behinderungen kennen die Barrieren und wissen, wie sie beseitigt werden können. Sie ermöglichen lokal massgeschneiderte Risikoanalysen, Vorsorge- und Nothilfepläne. Sie ermitteln, wo Menschen mit Behinderungen leben und was sie benötigen. So kann ein zentrales Lager für Hilfsmittel und Ersatzteile passen bestückt werden. Ausserdem leisten Selbsthilfegruppen von Menschen mit Behinderungen soziale Unterstützung, vernetzt mit Frauengruppen und Jugendverbänden, und fördern so den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Beim Wirbelsturm Remal in der Region Khulna in Bangladesch im Jahr 2024 bewirkten Selbsthilfevereinigungen, dass alle Menschen mit Behinderungen evakuiert wurden und Direktzahlungen erhielten. Da sie auch anders benachteiligten Familien halfen, verschafften sie sich gleichzeitig Respekt in der gesamten Bevölkerung. Heute sind zwei Delegierte der Selbsthilfegruppen engagierte Mitglieder des staatlichen Komitees für Katastrophenvorsorge.
Warum haben sich Direktzahlungen nach Katastrophen bewährt?
Eine Familie wählt dadurch selbst, wofür sie das Geld einsetzt. So kann sie genau das beschaffen, was sie dringend benötigt. Sei es Medikamente, Hilfsmittel, Nahrung, Trinkwasser, Hygieneutensilien, Decken oder Kleider. Die Direktzahlung wahrt dadurch die Würde der betroffenen Menschen.
Weil ausserdem keine Produkte beschafft, zusammengestellt und transportiert werden müssen, vermeiden Direktzahlungen Unkosten. Stattdessen stärken sie den einheimischen Markt. Nur vereinzelt, wenn der einheimische Markt zusammengebrochen ist, eignen sich Direktzahlungen nicht.
Das Geld wird meist digital auf ein Smartphone überwiesen, zum Beispiel in barrierefreien Kiosken. Eine Person mit Behinderung muss somit nicht zuerst einen Schalter in einem allenfalls beschädigten und nicht zugänglichen Gebäude erreichen.
Wie fördert die CBM krisenfesten Lebensunterhalt?
Sie geht in Etappen schrittweise vor. Menschen mit Behinderungen und andere besonders gefährdete Personen erhalten kleinere Geldbeträge, teils Kleinvieh oder Sachwerte, Kurse, beratende Begleitung sowie Zugang zu Spargruppen und zu Kleinkrediten. Menschen mit Behinderungen verhilft die CBM zusätzlich zu Hilfsmitteln, Therapien und zu barrierefreien Informationen. Die Familien sollen wirtschaftlich krisenfest und von äusserer Hilfe unabhängig werden.
So hat die CBM im Landkreis Turkana im Nordenwesten Kenias 800 Familien geholfen, mit den schwereren Dürren zurechtzukommen. Dabei hat sie mit einer Selbsthilfegruppe und der Hirtenvereinigung von Turkana die Hindernisse analysiert, die einem stabilen Lebensunterhalt entgegenstehen. Menschen mit Behinderungen sind begleitet worden, weitere Selbsthilfegruppen zu bilden. Sie haben Verdienstchancen vermittelt bekommen, ebenso Gesundheitsdienstleistungen samt Hilfsmitteln sowie den staatlichen Behindertenausweis, der zu sozialen Leistungen berechtigt.
Weshalb sind Netzwerke wichtig?
Einfach auf eigene Faust vorzugehen, wäre kaum zielführend. Sich mit Behörden und privaten Akteuren abzustimmen, vermeidet dagegen Doppelspurigkeiten. So wird das knapper gewordene Geld in der Entwicklungszusammenarbeit optimal eingesetzt und die Hilfe gezielter und nachhaltiger. Mehr Menschen erhalten sie, und der Austausch von Erfahrungen verbessert sie laufend.
Arme Bevölkerungen trifft der Klimawandel härter. Wie stellt sich die CBM darauf ein?
Gemeinsam mit Menschen mit Behinderungen stellen wir erstens die Katastrophenvorsorge sicher: Verstehen und Erkennen der Risiken vor Ort, Einrichten barrierefreier Frühwarnsysteme und Einüben des Notfalls. Zweitens fördern wir einen krisenresistenten Lebensunterhalt. Zum Beispiel vermitteln wir Kleinbäuerinnen und -bauern Anbaumethoden, die resistenter gegenüber Wetterextremen sind. Drittens beraten wir Selbstvertretungsorganisationen und humanitäre Akteure, wie man bei Katastrophen am besten vorgeht, um Menschen mit Behinderungen und andere besonders gefährdete Personen nicht zurückzulassen. Sie sollen gefunden und auf sichere Art evakuiert werden, die Schutzräume erreichen und die Nothilfe erhalten, die sie brauchen.
Was gibt dir Motivation und Hoffnung?
Wie mutig, entschlossen und widerstandsfähig Menschen mit Behinderungen und unsere einheimischen Partner sind. Hoffnung schöpfe ich aus dem Wissen, dass unsere Arbeit nachhaltige Wirkung zeigt: Selbsthilfegruppen von Menschen mit Behinderungen führen für ihr Dorf eine Risikoanalyse durch, Personen mit Behinderungen setzen sich im lokalen Zivilschutzkomitee ein. Die Gemeinschaften überleben dadurch nicht nur, sie transformieren sich und werden immer inklusiver, was allen zugutekommt.
Auch Sie spornen mich an, liebe Spenderin und lieber Spender. Durch Ihr Vertrauen und Ihre Grosszügigkeit bekennen Sie sich zu einer inklusiveren, gerechteren Welt. Dank Ihnen erreichen wir Menschen, die oft vergessen werden. Herzlichen Dank, dass Sie uns begleiten, damit jeder Mensch in Würde und Hoffnung leben kann. An jeder Erfolgsgeschichte haben Sie Anteil!

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